Die Bambini geben Gas



Bericht und Fotos: FOCUS (Mai 1997)
Start. Vollgas. 100 Meter Gerade. Stephan Proetto hat das rote Lederlenkrad fest im Griff. Sein linker Hinterreifen donnert über die blau-weißen Streckenbegrenzungen. Anbremsen. Scharfe Rechts-kurve. Rausbeschleunigen. Kurze Gerade. Voll in die Eisen. Spitz-kehre. Möglichst eng ums Eck. Proetto ruckt in seinem Sitz, macht sich leicht für die schnelle Kurve danach.

Als der Fahrer wieder über die Zielgerade fliegt drückt er auf die elek-tronische Stoppuhr an seinem Lenkrad: 38,5 Sekunden für die 681 Meter lange Runde, eine Superzeit. Die Strecke liegt ihm. Hier, auf der Kartbahn im nordbadischen Walldorf, hat er im März schon die ersten zwei Saisonläufe gewonnen. " Morgen, beim Rennen werde ich wohl den üblichen Platz machen, sagt er cool und siegessicher und steckt sich einen giftgrünen Lolli ins Gesicht.

Üblicherweise wird Stephan Proetto Erster oder Zwei-ter. Der Fahrer mit dem nonchalanten Siegerlächeln hat gerade seine zwei-ten Zähne bekom-men. Er besucht die fünfte Klasse einer Münchner Hauptschule, und der Stimmbruch läßt noch auf sich warten. Stephan
Proetto ist knapp einssechzig groß und wiegt 44 Kilo. Fast schon zu schwer, Denn aus seiner Wagenklasse ist Stephan fast rausgewach-

sen. Bambini‑Kart nennt sich das Gefährt für Acht ­bis Vierzehnjähri-ge, das aussieht wie ein Kettcar und schnell ist wie ein Kleinkraftrad. Die Technik ist auch für Minderjährige überschaubar: ein Stahlrohr-rahmen, Plastikschweller vom und auf den Seiten, ein fetter, quer über den Hinterbau ragender Auspuff, eine starre Hinterachse, an der links die Bremsscheibe und rechts das Zahnrad befestigt sind. Das wird über eine kräftige Kette von einem roten, stinkenden Radau-macher angetrieben: Der 60‑Kubikzentimeter‑Zweitakt‑Motor mit der Aufschrift CORMAR ist eigentlich Kettensägen konstruiert worden. Seine sechs PS katapultieren das Gefährt 80 Stundenkilometer. 1956 wurde In Amerika das erste zusammengeschraubt - als Kinderfahrzeug. Viele der heutigen Formel- 1-Piloten haben ihre Motorsportlaufbahn in den rasenden Schüsseln begonnen.

Jeder der 30 Bambini-Kart-Piloten auf der Walldorfer Bahn hat die großen Namen parat: Gerhard Berger, Heinz-Harald Frentzen,
Ayrton Senna.
Wer Stephan nach seinem Idol fragt, erntet ein Buben-grinsen, ein Blitzen aus dunkelbraunen Augen und den Namen von einem, der erst Kart-Sieger und dann Formel-1-Welt-meister wurde: Michael Schumacher.

Der Schumi-Boom sorgte nicht nur für ein neues deutsches Formel 1 Fieber, er trug auch den Kart-Bahnen in Deutschland reichlich Nachwuchs ein: Rund 2000 Kinder und Jugendliche haben sich beim Motorsportdachverband ONS eine Rennlizenz ausstellen lassen -

fünfmal so viele wie 1984.

Die Läufe zum Baden-Pokal Anfang Mai sind für Stephan Proetto das dritte Rennwochenende in dieser Saison. Zum drittenmal hat sein Vater Antonio seinen weißen Fiat Lieferwagen vollgepackt mit Ste-phans Spielwaren: Zwei Kart-Rahmen, 16 Reifen, zwei Rennoveralls, Regenkombi, fünf Zahnkränze und Kisten voller Werkzeug.

Antonio Proetto ist Gastwirt, doch seit sein Sohn unter die Rennfahrer gegangen ist, kommt der kleine rundliche und sympathische Sizilianer, der in Fürstenfeldbruck aufwuchs, kaum mehr in sein Restaurant in MünchenSchwabing. Seit anderthalb

Jahren ist Antonio Proetto Trainer, Chauffeur und Mechaniker für seinen Jüngsten. KartSport der Bambini-Klasse ist Kart-Sport der Papi-Klasse. Die Väter fahren Kleine und Karts an die Rennstrecke, sie schlagen die Zelte im Fahrerlager auf, sie basteln von morgens bis abends an den heißen Rennern herum.

Antonio Proetto plant generalstabsmäßig. Deswegen hat er auch noch seinen Mechaniker Uli Mair, selber Kart-Fahrer, mit an die Rennstrecke genommen. Im blauen Dunst der Zweitakterschwaden hantieren sie mit Zündkerzenschlüsseln, checken den Reifendruck, schmieren Gaszüge ab, vermessen und justieren Fahrwerkspur und Radsturz und füllen Superbenzin in den Kunststofftank, den Stephan beim Fahren zwischen den Beinen hat.

Die Väter sind Sponsoren und nicht selten Initiatoren der kindlichen Raserei.Aus einer Laune heraus hatte sich Antonio Proetto ent-schlossen, gemeinsam mit einigen anderen italienischen Wirten eine Indoor-Kart-Halle in München zu eröffnen. Das Geschäft brummte bald, und der Sohn, der gerade Ärger mit seinem Eishockeytrainer hatte, wollte mitbrummen: "Papa, ich möcht' das auch einmal versuchen."

Antonio Proetto hat sich diesem JM Wunsch nicht widersetzt. Antonio Proetto hat bald seinen Geldbeutel weit geöffnet, um dem Sohn konkurrenzfähiges Material zu verschaffen. 5000 Mark kostet

ein gutes Bambinikart. Dasselbe geht noch für Ausrüstung und Ersatzteile drauf. "Für ein Rennwochenende rechne ich mit mindestens 1000 Mark." Zehn solcher Wochenenden haben die Proettos für diese Saison geplant. Warum bezahlt ein Vater so viel Geld für den Sport seines Kindes? Warum opfert er jede freie Minute, um mit seinem Jüngsten zum Training oder zum Rennen zu fahren?Das hat wohl auch mit eigenen Jugendträumen zu tun. Antonio Proetto fuhr früher Motocross, nicht ernsthaft, nicht richtig professionell. Es fehlte an Geld, es fehlte an Unterstützung.

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